Südthüringentrail 2024
Es ist kurz vor 04:00 Uhr als der Wecker klingelt. Die Nacht war kurz, aber
lang genug, denn ich fühle mich verhältnissmäßig fit und ausgeruht.
Trotzdem bleibt nicht allzuviel Zeit. Mein Frühstück in Form von Müsli steht
schon bereit. Vorbereitung ist das halbe Leben. Ich hab mir gestern Abend
eine große Schüssel zurechtgemacht, dazu gibts einen halben Liter
Mineralgetränk. Gut gefrühstückt ist halb gefinisht. Auch meine
Wegzehrung für die Fahrt nach Suhl steht schon bereit. Der Rucksack ist
gepackt. Eine halbe Stunde später sitze ich im Auto. Klingt nach Stress,
ist es aber nicht. Wenn man sich keinen Stress macht, kann auch eine halbe
Stunde ausreichend Zeit sein um in Ruhe in den Tag zu starten.
"Sers Matze, ich glaub ich bin morgen raus..." Die Nachricht, dass Micha nicht dabei sein wird kam spontan. Wir wollten das Ding zusammen angehen. Aber wenn man sich nicht gut fühlt ist ein Trailrun über 47km und 1.932hm vielleicht nicht gerade das richtige um den Körper wieder auf Touren zu bekommen. Ich habe am Abend noch ein wenig hin und her überlegt ob ich überhaupt starten soll und trotzdem sitze ich jetzt im Auto und fahre die Auffahrt zur A9 hoch. Letzten Sonntag war ich nochmal auf ein paar Höhenmeter im Fichtelgebirge. 23km und 700hm auf und um den Schneeberg sollten die Vorbereitung, die eigentlich keine so richtige war, ein wenig glattbügeln. Ich weiß nicht ob das, was ich in den letzten Wochen trainiert habe wirklich ausreichend war. Aber man wächst mit seinen Erfahrungen und so lasse ich auf mich zukommen, was auf mich zukommen soll. Die Fahrt ist ruhig, es ist kühl und morgens bleibt es schon wieder dunkel. Das mag ich. Schon als Kind habe ich Fahrten am frühen Morgen geliebt, wenn wir in den Urlaub gefahren sind und die Sonne unterwegs langsam aufgegangen ist. Ich bin noch etwas müde aber das legt sich mit jedem Kilometer den ich zurücklege mehr und mehr. Als ich in Suhl ankomme ist die Nacht einem grauen Schleier gewichen und der Morgen kommt langsam in die Gänge. Das Gelände des Simson Gewerbeparks ist groß und Parkplätze sind ausreichend vorhanden. Viel ist noch nicht los. Oder nicht mehr, denn die Heldentrailer sind vor kurzem auf die Strecke geschickt worden. 64km haben sie heute vor sich. Die Route ist eine Kombi aus dem Riesentrail, der heute auf mich wartet und dem Wichteltrail, der kürzesten der angebotenen Strecken, über 17km. Die Startnummernausgabe ist unübersehbar. Es dauert nicht lange und ich habe alles in der Hand was ich brauche, inklusive dem Tracker, der jederzeit meine Postion sendet. Sehr gute Orga und man merkt, dass viel Wert auf die Sicherheit der Teilnehmer gelegt wird. Es gibt drei Monitore auf denen man zu jeder Zeit live mitverfolgen kann wo sich wer gerade auf der Strecke befindet. Es ist noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Start. Umziehen, trinken, Banane. Das übliche. Ich begebe mich in den Start/Zielbereich und stelle sofort wieder fest, wie entspannt die Trailrunningcommunity ist. Man lernt sich gegeneseitig ein wenig kennen. Von der Ultraläuferin, die gerne spontan mal 50-60km Läufe ins Training packt oder an 24h Läufen teilnimmt, bis hin zum Rookie, der noch keine Trailerfahrung hat und einfach mal reinschnuppern will ist auch in jeder Altersklasse wieder alles vertreten was das Land an Läuferinnen und Läufern hergibt. Ich bin erstaunt von woher die Starter kommen um an der achten Auflage des Südthüringentrails teilzunehmen. Ein noch recht junges Event, das Sportler aus Brandenburg oder dem südlichsten Zipfel des Schwarzwaldes anzieht, scheint sich innerhalb von nur ein paar Jahren einen ordentlichen Namen gemacht zu haben. Ich suche mir im Startbereich einen Platz irgendwo mittendrin raus und als wir uns mit dem Startschuss in Bewegung setzen, kommt dieses unbeschreibliche Gefühl wieder auf das mir sagt, dass, solange ich heute heil ins Ziel komme die Zeit oder die Platzierung nur ein schöner Nebenverdienst sind, denn das wird auf jeden Fall ein toller Tag mit vielen tollen Eindrücken. Es ist einfach etwas anderes als beim Straßenlauf. Hier ist der Weg das Ziel und als wir den ersten Hügel hinter uns haben, sich das Feld schon etwas auseinandergezogen hat und ich direkt Richtung Sonnenaufgang laufe, den ich zwischen den Bäumen des Thüringer Waldes erleben darf, sagt mir dieses Gefühlt wieder, dass es genau richtig war heute hier zu starten und alle Zweifel von gestern Abend hat es mit einem Mal nie gegeben. Der Südthüringentrail verschafft sich schnell Respekt bei mir, denn auf den ersten Kilometern lassen die Höhenmeter keineswegs auf sich warten. Die Wege sind aber schön zu laufen, nicht zu technisch und hier und da kommt ein hübscher Singletrail durch, es wird mal etwas wurzelig, aber nie zu kräftezehrend. Die Landschaft hüllt sich in die Morgensonne und immer wieder kommt man an schöne Ecken an denen man einen einmaligen Blick aufs Tal hat. Die erste Verpflegung kommt nach acht Kilometern. Ich lasse meine Softflasks etwas auffüllen und mach mich auf den Weg zu VP Nummer zwei bei Kilometer 16. Auf dem Weg dorthin geht es ein wenig durch die Stadt und auch Suhl zeigt, dass man nicht zwingend die umliegenden Wälder durchlaufen muss um an Höhe zu gewinnen. Sehr zu meiner Freude geht es nach 11,5km aber wieder in den Wald und ich stelle fest, dass sich meine Beine immernoch gut
anfühlen, denn meine Taktik aus laufen wo es geht und gehen wo es nötig
ist scheint wie immer gut aufzugehen. Das wichtigste ist aber wie so oft,
hydriert zu bleiben und ich versuche dran zu denken jeden Kilometer
einen kräftigen Schluck zu trinken. Noch ist es nicht allzu warm und ich
möchte dennoch meinen Flüssigkeitshaushalt so hoch halten wie
irgendwie möglich ist. Aus dem Wald heraus zweigt die Strecke plötzlich
nach links ab und ich schaue hinauf. Ist das eine Skipiste?
Hier geht es gnadenlos und schnurgerade nach oben und der Weg der
hier verläuft ist sicher kein Wildwechsel, sondern macht eher den Eindruck,
als wäre er in den letzten sieben Jahren von all den Riesen und Helden
hier hineingetreten worden. Die Sonne steigt langsam höher, es wird wärmer. Der Schweißverlust nimmt hier gerade an dieser Stelle enorm zu. Doch mit jedem Stück, das es weiter hinauf geht wird die Aussicht auf die Landschaft schöner. Den Blick nach oben gerichtet scheint die Sonne immer wieder durch das hohe Gras des Hügels. Eine weitere wunderschöne Szene in diesem Trailrunningfilm, der hier gerade läuft. Als die letzten Meter dieses mentalen und körperlichen Tests hinter mir liegen, sitzt entspannt ein Fotograf auf einem Stein und fängt hier sicher viele unentspannte aber ehrliche Gesichtsausdrücke ein. Es geht weiter. Wieder in den Wald. Da es Richtung VP2 geht, werden die letzten Trinkreserven geleert um sie dort wieder komplett aufzufüllen. An den VPs mache ich mir grundsätzlich keinen Stress. Rucksack runter, Salztablette nehmen, Sportgetränkepulver in die Softflask und wieder mit Wasser auffüllen. Kurz dehnen, eine Kleinigkeit essen. Ein, zwei Becher trinken. Das Ganze kostet mich vielleicht 2-3 Minuten. Auf knapp sechs Stunden, die ich unterwegs sein werde ist das gar nichts. Ich nehm mir die Zeit. Denn bis Kilometer 32 wird es keine Verpflegung mehr geben. Und das nächste Stück wird es in sich haben, sagt das Höhenprofil. Erstmal geht es schön bergab und nach ein paar Kilometern führt der Weg über einen kleinen Bach. Kühlen Kopf bewahren sagte schon Bruce Willis ziemlich am Anfang des fünften Elements, also mach ich meine Mütze nass und genieße die Kühle, die mir über das Gesicht und den Nacken läuft. Hier und da kann ich wieder einige Plätze gutmachen und schätze, dass ich wohl im guten MIttelfeld unterwegs sein sollte. Wie gesagt ist die Platzierung nicht das wichtigste für mich bei solchen Läufen. Eine Zeit nehme ich mir ohnehin nur ganz grob vor und bin keineswegs enttäuscht, wenn es nicht so klappt wie gedacht. Und trotzdem bin ich sehr zufrieden damit, wie ich bisher hier durchkomme. Als es vor einer Weile die Skipiste hochging, dachte ich noch nicht, dass es etwas später wohl genauso wieder bergein gehen wird. Es geht auf einem Wirtschaftsweg entlang und die Aussicht ist erneut toll. Ein paar Meter vor
mir steht eine Frau mit ihrem Fahrrad. "Viel Spaß da runter" höre ich sie
sagen. Wieder scharf links schaue ich nach unten in Richtung der Musik
die von dort ertönt. "Ich wünsch dir auch noch viel Spaß heute" sage ich
und höre sie noch leise lachen als ich mich auf den Weg mache. Gefühlt
ging es bis hierher nur bergauf und einen Löwenanteil der Höhenmeter
habe ich schon hinter mir, obwohl die Uhr erst bei Kilometer 23 steht.
Ich werde diesen Downhill so schnell nicht vergessen. "Verd... Axt hier
kann man's nichtmal bergab ne Runde rollen lassen!" geht mir durch den Kopf, denn es ist hier mehr tippeln als laufen. Downhill ist ja ohnehin nicht meine Stärke, lieber gehts bergauf. Das hier knallt so richtig heftig in die vorderen Oberschenkel. Die Passage scheint gar nicht aufzuhören und diese 600-700 Meter kommen mir wie eine Ewigkeit vor. Es geht über plattgetretenes hohes Gras und somit kommt noch wenig Grip dazu, was umso mehr Kraft kostet und die schräge Musik die da unten läuft, macht die Sache keineswegs besser, zumal sie mit jedem Meter nach unten auch immer lauter wird. Zu meiner Überraschung mache ich dennoch zwei Plätze gut. Die Oberschenkel brennen mittlerweile richtig und ich rutsche öfters weg. Es wird nicht steiler und nicht flacher. Der Spaß bleibt konstant. Irgendwann komme unten an und sehe auf der linken Seite einige Leidensgenossen stehen. Eine Quelle. Ich liebe Quellen. Alles vergessen. Die Mütze ist wieder nassgemacht und nach kurzem austauschen über das soeben erlebte geht es weiter. Zurück in den Wald. Bergauf... Das nächste große Ziel ist der Schneekopf. Mit 978 Metern ist er die zweithöchste Erhebung im Thüringer Wald. Vorher führt die Strecke noch an der Teufelskanzel vorbei, an der ich nochmal einen Blick auf die Landschaft werfen darf. Ich muss an meine Großeltern denken. Als Kind war ich mit meinem Großvater schon öfters an der Teufelskanzel. Allerdings nicht an dieser, sondern in der Nähe des Rennsteigs. Eine schöne Erinnerung ist es dennoch. Ein kurzes Stück und einige klatschende Wanderer später, steht man nach 29 Kilometern am Gipfel des Schneekopfs und hat die meisten Höhenmeter bereits in den Beinen. Das weitere schöne ist, dass es ab jetzt erstmal lange bergein geht und es bis zum nächsten VP nicht mehr weit ist. Dennoch werden es lange vier Kilometer. Als ich aber am Adler bin ist wieder kurz Zeit zum ausruhen. Etwas essen und trinken und alle Reserven wieder auffüllen. Es gibt zwei Eimer mit Wasser gefüllt, an denen man sich zusätzlich erfrischen kann. Viele nutzen das Angebot und schaufeln sich ein, zwei Hände des kühlen Nasses ins Gesicht. Das kommt wie gerufen aber als ich in den Eimer blicke entscheide ich mich dazu direkt weiterzulaufen. Ich muss unwillkührlich an die Schulkinder am Großen Arber von vor ein paar Jahren denken, die sich das Wasser aus dem Kneippbecken zur Erfrischung ins Gesicht gekippt haben. Salzwasser pur nehme ich an und suche lieber das Weite. Bergein. Jetzt, jetzt hat das wieder was mit rollen lassen zu tun. Das ist ein schöner Tritt den ich gefunden habe und ich kann die Beine locker laufen lassen. In der Gegend umherschauend komme ich fast in einen Tunnel. Zum Glück nur fast, denn als ich wieder etwas bewusster unterwegs bin wundere ich mich wo plötzlich die beiden die eben noch vor mir waren abgeblieben sind. Der Kollege aus dem Schwarzwald und sein Copilot sind weg. Turbo gezündet? In Luft aufgelöst? Nein. Die beiden haben alles richtig gemacht, denn ich bin falsch. Also den Weg wieder ein Stück zurück und ab in die Abzweigung die ich eben noch verpasst hatte auf einen kleinen Singletrail der echt Spaß macht. Nach 37 Kilometern geht es nochmal durch die Stadt. Das sieht jetzt alles irgendwie unwirklich aus. Wanderwege und Singletrails verwandeln sich mit der Sekunde in Straßen und Gassen. Quellen sind plötzlich Gartenschläuche der Anwohner und Altbaumbestände werden zu Siedlungen. Schotter wird zu Asphalt. Ruhe zu Straßenvekehr. Der letzte Verpflegungspunkt wartet nach 38 Kilometern und von dort aus sind es nur noch neun Kilometer ins Ziel. Wieder ab in der Natur bin ich für jeden Slot mit Schatten dankbar denn die Sonne steht mittlerweile ohne den Widerstand auch nur einer Wolke hoch am Himmel und brennt auf Wichtel, Riesen und Helden hernieder. Als die Route ein Stück aus dem Wald herausführt, finde ich mich in der Steppe Suhls wieder. Trocken und staubig ist es hier. Verdörrtes Gras und nur ein paar Grillen die man hört runden das schöne, ohnehin schon kontrastreiche Programm des Südthüringentrails zum Ende hin noch etwas mehr ab. Der letzte Abschnitt wartet. Nach Kilometer 43 führt der Riesentrail nochmal in die Stadt. An Schrebergärten vorbei laufe ich einen urbanen Singletrail entlang. Ich hole eine Heldin ein und wir kommen kurz ins Gespräch. Ich verfolge seit 2-3 Kilometern das Ziel, noch unter sechs Stunden zu finishen. Das wird knapp aber ich will es schaffen. Auf meiner Uhr ist das Höhenprofil derart gestaucht, dass ich die letzten Hügel nicht mehr erkennen kann. Der Überraschungseffekt auf dem letzten Stück lebt. Da kommen noch ein paar Höhenmeter dazu, die ich so nicht mehr auf dem Schirm hatte. Ich höre den Zielsprecher und schaue auf die Uhr. Das ist zu machen, auch wenn hier nochmal ein Bogen zu laufen ist der eigentlich gefühlt wieder vom Ziel weg führt. Doch danach ist es geschafft. Ich laufe die letzten Meter und komme an der kleinen Brücke raus, über die es schon heute Morgen ging. Die letzten 100 Meter stehen an und ich fühle jeden der vorherigen 47,4km. Durch den Zielbogen durch, an dem die Helden jetzt noch auf die Wichtelstrecke müssen ist für mich für heute nach knapp unter 6h Schluss. Die Zeit und dass ich hier 18ter werde hätte ich heute Morgen zwar sofort unterschrieben, und trotzdem, da ist es wieder: dieses unbeschreibliche Gefühl das mir sagt, dass, da ich heute heil ins Ziel gekommen bin, die Zeit oder die Platzierung nur ein schöner Nebenverdienst sind, denn das war ein toller Tag mit vielen tollen Eindrücken. Auch ohne perfekte Vorbereitung.
Fotos: von o. nach u. Manuela Hahnenbach, Eckhardt Seher, Andreas Kuhrt, Andreas Kuhrt, Eckhardt Seher, Uli Pfeufer